Den Hl. Sebastian kennen die meisten von uns als Märtyrer, der, zumeist an einen Baum gefesselt und von Pfeilen durchbohrt, sein weltliches Leben verwirkt.
Was den wenigsten bekannt sein dürfte: Sebastian erlitt sein Martyrium zweimal. Der Legende nach war er Hauptmann der Prätorianergarde am kaiserlichen Hof Diokletians, also Offizier der kaiserlichen Leibgarde, zur Zeit der großen Christenverfolgungen. Als sein christlicher Glaube bekannt wurde, verurteilte ihn Diokletian zum Tode und ließ ihn von Bogenschützen erschießen. In dem Glauben, er sei tot, ließ man ihn am Hinrichtungsort liegen. Er war jedoch nicht tot, und die Witwe eines Märtyrers nahm sich seiner an und pflegte ihn wieder gesund. Nach seiner Genesung kehrte er zu Diokletian zurück, bekannte sich erneut zum Christentum und führte dem Kaiser die grausame Sinnlosigkeit seiner Verfolgungen vor Augen. Diokletian befahl daraufhin, ihn im Hippodrom des Palatin mit Keulen zu erschlagen. Seinen Leichnam warf man in die "Cloaca Maxima", den städtischen Abflussgraben in der Nähe des Tiber, aus dem er von Christen geborgen und in den Katakomben beerdigt wurde.
So gesehen, wäre der Hl. Sebastian in unserer Zeit ein Mensch mit unerschütterlichem Mut und außerordentlicher Zivilcourage, der seine eigene Existenz in Gefahr bringt, indem er Mißstände aufzeigt, und letztendlich einen tragischen Tod erleidet.
Für manche mag er auch als moderner Narr gelten, der die Gnade der Rettung durch den Zufall nicht erkennt, oder nicht erkennen will. In seiner Konsequenz ist er jedoch einzigartig und agiert auf höchst individuellem Niveau.
Die Darstellung des Sebastian als spärlich bekleideter und neben spitzen Pfeilen auch von einer Schlange bedrängter Laokoon, ist nicht zufällig.
Auch der Priester Laokoon in der Antike agierte uneigennützig und aus Überzeugung. Er war der einzige Trojaner, der seine Landsleute vor dem als Weihegeschenk der Griechen getarnten hölzernen Pferd gewarnt hatte. Für seinen Mut wurde er von der erzürnten Göttin Athene, die auf Seiten der Griechen stand, mit zwei todbringenden Schlangen bedacht.
Tatsächlich beschert uns der technische Fortschritt, so hilfreich er sein mag, auch heute noch so manchen Trojaner…
Das erste Martyrium des heiligen Sebastian war ein beliebtes Thema in der Kunst der Renaissance und tatsächlich bestehen hier auch inhaltlich Parallelen zur Reformation.
Mit der Entdeckung der Neuen Welt begann in Europa eine Epoche des Aufbruchs. Ausgehend von einer Rückbesinnung auf antike Traditionen und Werte, brachte sie vor allem zahlreiche Errungenschaften in Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik mit sich. Die Renaissance bedeutete für die Menschen aber auch einen grundlegenden Wandel gesellschaftlicher Werte. Der Abkehr vom geozentrischen und der Hinwendung zum heliozentrischen Weltbild folgte im Bereich der Religion das Entstehen der Reformationsbewegung durch die Lehren Martin Luthers.
Im Zuge der Aufklärung vollzog sich gleichsam eine Entsakralisierung der Welt. Es entstand ein neues Verständnis von Heiligkeit. Die gesamte Welt war gleichermaßen heilig. Doch die fortschreitende Aufklärung nährte auch die Angst vor der Veränderung, vor dem neuen Unbekannten. Der Mensch - als einziges Lebewesen befähigt, sich über andere Lebewesen, über die Natur und über die Naturgewalten selbst zu erheben - wurde zum Spielball seines Aberglaubens und Opfer seiner eigenen seelischen Abgründe, seiner Ängste vor realen bzw. perzipierten Gefahren, seiner Vorurteile gegenüber Fremden, Juden, Muslimen, Frauen.
So wundert es nicht, dass die grausamen Hexenverfolgungen - meist dem finsteren Mittelalter zugeordnet - erst in der Zeit der Reformation (16./17. Jhdt.) ihren wahren Höhepunkt fanden.
Die zwei Leidensbringer des Hl. Sebastian und Laokoon haben ihre eigene Symbolik. Aus einem modernen Blickwinkel betrachtet gelten die spitzen Pfeile auch als Sinnbild für die Verletzungen des ganz banalen Alltags, der sich mitunter in Ordensgymnasien und abgedunkelten Kinderzimmern abspielt.
Die Schlange lockt und verführt und ist Sinnbild der zahlreichen Verlockungen unserer Zeit:
Glücksspiel, freie Sexualität, Ausleben von Wünschen. Die Schlange ist nach keltischem Glauben ein schöpferisches Symbol und steht aufgrund ihrer Fähigkeit, sich zu häuten, auch für die Wiedergeburt des Menschen. In diesem Sinne ist auch ihre Eigenschaft als heilendes Wesen und zugleich als Träger tödlichen Giftes zu verstehen. So ist die moderne Gottheit des Menschen - der technische Fortschritt - schöpferisch und zerstörerisch zugleich. Und auch die von uns heraufbeschworenen Kräfte der Natur, mit denen wir die Auseinandersetzung suchen, erschaffen und vernichten gleichermaßen.
Somit ist die Ambivalenz zwischen technischem Fortschritt und menschlicher Verkümmerung ein Dilemma des Homo sapiens, das ihn seit Menschengedenken beherrscht und beherrschen wird bis in alle Ewigkeit - solange er denkt, atmet und fühlt.
Dem Hl. Sebastian in seiner Darstellung als nackter Jüngling mit makellosem Körper wird heute auch das Interesse von Homosexuellen dargebracht. Er gilt ihnen Berichten zufolge als Patron gegen die moderne Plage der Menschheit, Aids.
Nicht zuletzt diese weltlichen Dimensionen des Hl. Sebastian sind es, die ihn als Heiligen an unsere Stelle treten lassen.